Die Gründung von GENAWIF ist eng mit der Geschichte des Instituts für Pflanzenphysiologie der RWTH Aachen verknüpft. Pflanzenphysiologie behandelt kurz gesagt, wie Pflanzen mit der Umwelt interagieren, und wie ihre Entwicklung von der Umwelt beeinflusst wird. Wenn man an die Umwelt denkt ist der erste Gedanke häufig, dass es sich hierbei um die Wetterverhältnisse und den Standort handelt, allerdings ist in dem Kontext der Pflanzenphysiologie auch die belebte Umwelt gemeint, also alle Lebewesen, die ebenso einen Einfluss auf die Pflanzen nehmen. Das sind neben Tieren, Insekten, und anderen Pflanzen vor allem auch Mikroorganismen.
Seit der Gründung des Instituts im Jahr 1974 lagen die Schwerpunkte auf den Forschungsthemen, wie Pflanzen auf Stress reagieren, sei es z.B. Hitze, Nährstoffmangel, oder Krankheitserreger, und wie sich dieser Stress auf die Gesundheit der Pflanze auswirkt. Auch wenn man sich dessen häufig nicht bewusst ist, profitieren wir Menschen stark von dieser Forschung, da wir durch diese Erkenntnisse in der Lage sind, Pflanzen eine optimale Versorgung zu bieten, um dadurch z.B. Ernteerträge zu sichern oder sogar neue lebensfeindliche Anbaugebiete zu erschließen.
Pflanzen haben selbst diverse Strategien entwickelt, um sich gegen unterschiedlichste äußere Einflüsse zu schützen. Hierbei ist insbesondere das Arsenal an biochemischen Wirkstoffen erstaunlich, welches sich im Lauf der Evolution entwickelt hat. Tatsächlich profitieren Menschen seit Jahrtausenden von diesen Stoffen und machen sich diese häufig zu Nutze, wie z.B. Salicylsäure, welches als Acetylsalicylsäure ein häufiger Bestandteil von Kopfschmerztabletten ist. Vor der Entwicklung moderner Medikamente konnten Menschen z.B. Weidenrinde kauen, wodurch man bereits weit vor der Entdeckung von Salicylsäure Zugang zu diesem natürlichen Schmerzmittel hatte und nutzen konnte.
Es gibt eine neben der Weidenrinde sehr ähnliche Geschichte zu einer weiteren Pflanze, die seit Jahrtausenden von Menschen Verwendung findet. Zu dieser weltbekannten (Küchen)Pflanze und deren biochemischen Wirkstoffen entwickelte sich innerhalb der Pflanzenphysiologie eine eigene Arbeitsgruppe, nämlich die sogenannte Knoblauch-Gruppe. Diese Gruppe wurde von Professor Alan Slusarenko gegründet, der gleichzeitig Institutsleiter der Pflanzenphysiologie der RWTH Aachen von 1995 bis 2022 war.
Wie der Name vermuten lässt, drehte sich die Forschung um Knoblauch, genauer gesagt, um Allicin, einer antimikrobiellen Abwehrsubstanz des Knoblauchs. Im Prinzip kennt jeder Allicin, der schon mal frischen Knoblauch gepresst, angeschnitten, oder einfach roh gegessen hat, da der typische Geruch von verletztem Knoblauch auf dieser Verbindung beruht. Das besondere an der Schwefelverbindung Allicin ist seine starke antimikrobielle Aktivität gegen verschiedenste Bakterien und Pilze, was das Interesse von Professor Slusarenko an dieser Verbindung vor ca. 20 Jahren weckte. Damit war der Grundstein gelegt, dem Wirkmechanismus dieser Verbindung auf die Spur zu kommen.
Die ersten Arbeiten zu Allicin fanden noch mit gepresstem Knoblauchsaft statt, in welchem Allicin eine sehr aktive Verbindung darstellt. Hierzu kam ein handelsüblicher Entsafter zum Einsatz, um teilweise bis zu einem halben Liter Knoblauchsaft zu gewinnen. Ich erinnere mich noch gut, als wir für ein größeres Experiment 600 ml Knoblauchsaft vorbereitet hatten, mit drei Mitarbeitern für das Schälen und Zurechtschneiden der Knoblauchzehen und mit mir am Entsafter. Obwohl der Entsafter unter dem Abzug war, hat es dennoch im ganzen Raum gerochen. Natürlich breitet sich ein solcher Geruch auch gerne im gesamten Institut aus, und insbesondere an warmen Sommertagen hat das nicht gerade Freudensprünge bei einigen Kollegen ausgelöst. Knoblauchsaft enthält neben Allicin noch viele andere Verbindungen, allerdings konnten wir durch High Pressure Liquid Chromatography (HPLC) Analyse zeigen, dass Allicin den Hauptanteil im Saft ausmachte. Darüber hinaus hatten wir damals die Idee, dass dieser einfach herzustellende Saft eine kostengünstige Alternative im Vergleich zu kostenintensiven oder synthetischen Wirkstoffen sein könnte.
Mit diesem Knoblauchsaft wurden dann Experimente zum Wirkungsspektrum gemacht, also Untersuchungen zu der Frage, bei welchen Organismen eine antimikrobielle Wirkung beobachtet werden konnte. Da Allicin eine Abwehrsubstanz von Knoblauch ist, womit sich Knoblauch gegen Fraßfeinde und mikrobielle Krankheitserreger verteidigt, wurde zuerst das Spektrum gegen verschiedenste pflanzenpathogene Krankheitserreger untersucht. Darunter waren z.B. Botrytis cinerea (Auslöser der Grauschimmelfäule, z.B. beim Weinanbau), Phytophthora infestans (Auslöser der Kartoffelfäule) oder Magnaporthe grisea (Auslöser der Reisfäule), gegen die sich Allicin als effektiv erwies 1.
Da der Knoblauchsaft allerdings auch andere Verbindungen enthält, wurde Allicin durch ein Extraktionsverfahren aus dem Knoblauchsaft zunächst angereichert, wobei der enthaltene Extrakt aber immer noch kein reines Allicin enthielt. Später wurden in der Arbeitsgruppe Verfahren für die chemische Synthese von Allicin etabliert, basierend auf dem Abbauprodukt Diallyldisulfid (DADS), welches zu Allicin zurück oxidiert werden kann. Diese Anstrengungen mündeten letztendlich in einem verbesserten Syntheseprotokoll, durch welches zugleich der genaue Reaktionsmechanismus entschlüsselt werden konnte. Durch verschiedenste analytische Verfahren wie HPLC, LC-MS (liquid chromatography coupled mass spectrometry) und 11H-NMR (nuclear magnetic resonance) Analyse wurde gezeigt, dass mit diesem Verfahren Reinheiten von mehr als 98% bei einer Allicin-Ausbeute von 91% erzielt werden können 2. Man kann durchaus sagen, dass die Knoblauch-Gruppe durch dieses Know-How zu einem gefragten Versorger für Allicin für die unterschiedlichsten nationalen und internationalen Arbeitsgruppen wurde, die ebenfalls an Allicin forschen.
Mit der Reinsubstanz Allicin wurden dann Untersuchungen zur Wirkungsweise durchgeführt, um die Frage zu beantworten, welcher Angriffsmechanismus Allicin zu einem so potenten Antibiotikum macht. Dazu wurden verschiedenste Organismen wie die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae, 3,4, Pseudomonaden 5–7, Pflanzen 8,9und Humanzellen 6,10 der synthetisierten Reinsubstanz Allicin ausgesetzt, um durch genetische und protein-analytische Methoden herauszufinden, welche Abläufe innerhalb der Organismen durch das Allicin stattfinden. Andere Kooperationspartner erforschten die Wirkung von Allicin an Escherichia coli, Staphylococcus und Bacillus Bakterien durch Allicin oxidiert werden 11–14. In the course of this research, special techniques were developed, for example genetically constructed biosensors to monitor oxidative stress with living cells in real time 4oder die Verwendung ganzer Mutanten-Bibliotheken in sogenannten Screeningverfahren 15. Diese Untersuchungen führten letztendlich zu einem Arbeitsmodell zum Wirkmechanismus von Allicin, wie wir es heute (Stand 2021) kennen.
To make a long story short, allicin has various modes of action, the most important one, however, is its reactivity with free thiol groups, altering protein activities by adding so called allyl groups via oxidation. Normally, the cellular redox buffer glutathione would prevent oxidative damage, but it is targeted by allicin as well. It can be viewed as a kind of “redox toxin” in the cell. One can imagine this as a broad range attack on many different targets while simultaneously weakening the cellular defences, so that a cell can hardly defend itself against allicin. This ultimately leads to cell death, even dose-dependently, in higher human cells and tissues 16. Durch die schiere Menge an Protein-Angriffszielen ist es für Zellen schwierig, sich gegen Allicin an so vielen verschiedenen Fronten gleichzeitig zu verteidigen. Diese oxidativen Schäden führen dann bei entsprechender Allicinkonzentration zum Tod der Mikroorganismen und höherer Zellen wie Pflanzen- und Humanzellen. Andere Antibiotika haben meist einen sehr engen und spezifischen Wirkmechanismus, bei dem nur eines oder wenige Ziele angegriffen werden, weshalb sich häufiger resistente Zellen gegen diese Antibiotika durch natürlich Selektion und Evolution entwickeln können.
Diese Grundlagenforschung zu Allicin mündete in den letzten Jahren in anwendungsorientierten Forschungsprojekten. Da Allicin riechbar ist, handelt es sich um eine flüchtige Verbindung, welche sich in der Luft verteilt. Um zu untersuchen, ob man Allicin über die Luft als Antibiotikum einsetzen könnte, wurde in Kooperation mit der Aerodynamik der RWTH Aachen ein Lungenmodell entwickelt, um dieses Modell mit Bakterien auszukleiden, die Wirkung von Allicin über die Luft genauer zu untersuchen und letztendlich die Wirksamkeit und Anwendbarkeit zu bestätigen 17. Gleichzeitig legten Untersuchungen mit humanen Zellkulturen nahe, dass Allicin ein potentielles Mittel zur Bekämpfung von Krebs sein könnte 10,18. Erst kürzlich wurde eine Forschungsarbeit in Kooperation mit dem Institut für Virologie von der der Universitätsmedizin Berlin publiziert, die die Wirkung von Allicin auf SARS-CoV-2 infizierte Zellen näher untersucht hat. Hierbei konnte beobachtet werden, dass die Bildung viraler RNA, viraler Proteine und infektiöser viraler Partikel in infizierten Zellen durch Allicin vermindert werden konnte 19.
Zur Sicherheit sei an dieser Stelle erwähnt, dass von Selbsttherapieversuchen abgeraten wird, da Allicin in höheren Konzentrationen Gewebe-Verbrennungen verursacht und die effektive Wirkung von Allicin maßgeblich davon abhängt, dass es gezielt am Wirkort verabreicht werden kann, was z.B. ein aktuelles Forschungsthema rund um Allicin ist. Eine orale Einnahme von Allicin oder das Essen von Knoblauch führt nämlich nicht dazu, dass sich Allicin im Körper verteilt, da es z.B. im Magen bereits zu anderen Schwefelverbindungen reagiert.
Alle diese anwendungsorientierten Forschungszweige rund um Allicin sind vielversprechend, allerdings stand es bereits seit einigen Jahren fest, dass durch die Pensionierung von Professor Slusarenko und der damit verbundenen Auflösung der Knoblauchgruppe ein wichtiger Teil in der Forschungslandschaft verschwinden wird, da sich die nachfolgende Lehrstuhlleitung thematisch neu orientieren würde. Es brauchte also eine Möglichkeit, die Forschung auch nach dem Ausscheiden aus der Universität weiter fortzuführen, wodurch die Idee der Gründung eines Vereins geboren wurde, der sich mit Allicin, aber auch mit anderen Naturstoffen beschäftigen würde. Daher gründeten wir den Verein knapp zwei Jahre vor dem Ende der Knoblauch-Gruppe, um einen nahtlosen Übergang der Forschung mit dem Verein vorbereiten zu können.
Mit der Abschiedsfeier am 25.03.2022 fand also nicht nur ein Abschied von der Knoblauchgruppe und der RWTH Aachen statt, sondern gleichzeitig auch ein Neuanfang durch den Verein GENAWIF. Viele Themen und Arbeiten wurden in dieser Hintergrundgeschichte angerissen, die wir in Zukunft fortsetzen werden. Wir freuen uns bereits darauf, über die weiterlaufenden Arbeiten und auch über neue Themen und Projekte abseits vom Allicin zu berichten, allerdings nun nicht mehr als Knoblauch-Gruppe der RWTH Aachen, sondern als GENAWIF e. V.!
Referenzen
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Jan Borlinghaus, 27.04.2022