Für nicht-fachkundige Leser wird empfohlen, zuerst einen Blick auf unseren Artikel „Auf die Größe kommt es an – die Notwendigkeit der Umstrukturierung von DNA“ zu werfen. Dort werden die Hintergründe erläutert, warum das Verpacken und Entpacken von DNA ein lebenswichtiger Prozess ist. Hierzu wird die DNA-Größe des Bakteriums Escherichia coli mit seiner Zellgröße verglichen und es wird ein simples Modell der DNA-Verpackung erklärt, welches man zuhause mit etwas Basteln nachstellen kann. Zuletzt wird dort erläutert, wie die Aktivität DNA-verpackender und entpackender Enzyme mit Hilfe der Gelelektrophorese-Technik untersucht werden kann. Diese Technik und deren Anwendung für die Analytik der DNA Gyrase-Aktivität stellt einen wichtigen Teil in dem nun folgenden Artikel dar.

Zusammenfassung

Das essentielle bakterielle Enzym DNA Gyrase ist ein wichtiges Ziel für medizinische Antibiotika. Dieses Enzym ist an der Verpackung von DNA in eine kompaktere Größe innerhalb der Zelle beteiligt, wodurch es in die Prozesse der DNA- und Zellreplikation involviert wird. Eine aktuelle Studie hat gezeigt, dass der Naturstoff Allicin aus Knoblauch ein potenter DNA Gyrase-Hemmer ist, der zudem in vergleichbaren Konzentrationen wirkt wie das Antibiotikum Nalidixinsäure. Allicin ist eine schwefelhaltige Abwehrsubstanz aus Knoblauch, die bei Verletzung von Knoblauch synthetisiert wird, und welche für das typische Knoblaucharoma verantwortlich ist.

Abschnitt 1 – Die bakterielle DNA Gyrase ist ein Ziel für Antibiotika

Bakterien werden aufgrund der Organisation ihrer Zellen auch als Prokaryoten bezeichnet, und medizinische Antibiotika greifen z.B. die prokaryotische Protein- oder DNA-Synthese mit einer hohen Zielspezifität an. Hierdurch wird erreicht, dass ähnliche Prozesse in eukaryotischen Zellen, wie z.B. tierischen oder menschlichen Zellen, nicht oder nur sehr schwach beeinträchtigt werden. Dies gestaltet sich manchmal schwierig, da die Mitochondrien, die uns mit Energie versorgen und deshalb als die Kraftwerke unserer Zellen bezeichnet werden, z.B. bakteriellen Ursprungs sind. Sie haben noch Teile der Protein- und DNA-Synthese mit ihren Vorfahren gemeinsam, weshalb die Mitochondrien auch für prokaryotisch wirksame Antibiotika anfällig sein können 1,2.

Ein berühmtes Bakterien-spezifisch wirkendes Antibiotikum ist z.B. das Penicillin, welches von einigen Pilzen des Genus Penicilliumgebildet wird, und welches von Alexander Fleming im Jahre 1929 beschrieben wurde 3. Der Wirkungsmechanismus von Penicillin ist die Hemmung der Zellwandsynthese bei vielen Bakterien 4–6Eine Folge des Einsatzes von Antibiotika ist die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen 7, weshalb es wichtig ist, ein Arsenal verschiedener Antibiotika mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zur Verfügung zu haben, um dagegen gewappnet zu sein.

Ein lebensnotwendiger und ebenfalls Bakterien-spezifischer Faktor für die DNA-Replikation von Bakterien ist das Enzym DNA Gyrase 8. Die Gyrase gehört zu der sogenannten Topoisomerase-Proteinfamilie, deren Familienmitglieder an der Verpackung (Kondensation) und Entpackung (De-Kondensation) von DNA beteiligt sind 9.

Abschnitt 2 – Allicin aus Knoblauch inhibiert die DNA Gyrase Aktivität

Ein effektiver DNA Gyrase Hemmer ist Nalidixinsäure (Abbildung 1), eine Substanz rein chemischen Ursprungs, welche den ersten Stoff der sogenannten Quinolone-Antibiotika-Klasse darstellte 10.

Chemical structure of nalidixic acid and allicin
Abbildung 1: Die chemischen Strukturen von Nalidixinsäure und Allicin. Nalidixinsäure ist eine rein chemisch synthetisierte Verbindung. Allicin ist ein natürliches Antibiotikum aus Knoblauch (Allium sativum), welches für den typischen Geruch von frisch geschnittenem Knoblauch verantwortlich ist. Reines Allicin kann auch chemisch synthetisiert werden.

In 2020 wurde eine Studie von Jana Foerster (geb. Reiter) und Kollegen über die Hemmung der DNA Gyrase durch den Naturstoff Allicin veröffentlicht 11, einer natürlichen Schwefelverbindung aus Knoblauch (Abbildung 1). Allicin ist ein starkes und zugleich flüchtiges Antibiotikum, welches durch die Verletzung von Knoblauch freigesetzt wird, und das für den typischen Geruch von frisch geschnittenem oder gepresstem Knoblauch verantwortlich ist. Im Vergleich zu anderen Antibiotika wie z.B. Penicillin oder Nalidixinsäure, welche spezifische Angriffsziele in der Zelle haben, greift Allicin viele unterschiedliche Ziele an, da es mit der ungeschützten Thiol-Gruppe der Aminosäure Cystein reagiert, welche essentiell für die Struktur und die Aktivität vieler Enzyme ist 12,13.

Sobald Allicin mit einer Thiol-Gruppe reagiert, wird diese chemisch oxidiert und es wird eine sogenannte Allyl-Gruppe hinzugefügt, sodass anschließend keine freie Thiol-Gruppe mehr vorliegt (Abbildung 2). Die Addition der Allyl-Gruppe erhöht die Masse des Proteins, und diese Massendifferenz zwischen nicht-allyliertem Protein und allyliertem Protein wurde durch Foerster (geb. Reiter) und Kollegen genutzt, um zu untersuchen, welche Proteine in Pseudomonas Bakterien durch Allicin oxidiert werden 11.

Allicin reacts with thiol groups in biomolecules
Abbildung 2: Allicin reagiert mit Thiol-Gruppen von Biomolekülen. In diesem Beispiel reagiert Allicin mit den frei verfügbaren Thiol-Gruppen (-SH) auf der Oberfläche der Proteine. Ein Molekül Allicin kann zwei Thiol-Gruppen thioallylieren, entweder von demselben oder von zwei unterschiedlichen Biomolekülen. Die molekulare Masse von Proteinen erhöht sich durch die Addition der Allyl-Gruppen (rot). Diese Masse-Zunahme kann durch massenspektrometrische Verfahren analysiert werden, um die spezifischen Proteine sowie die Menge der oxidierten Proteine durch Allicin-Behandlung zu identifizieren.

In der Studie wurde außerdem nach potentiellen Resistenzmechanismen gegen Allicin gesucht, indem die thioallylierten Proteine des vom Knoblauch isolierten Pseudomonas fluorescens Allicin Resistant-1 (PfAR-1) mit seinem nahe verwandten aber weniger Allicin-resistenten P. fluorescens Pf0-1 11verglichen wurden. Die Arbeitshypothese war, dass Proteine, die verhältnismäßig weniger durch Allicin in PfAR-1 thioallyliert werden, möglicherweise einen wichtigen Resistenzfaktor gegen Allicin darstellen.

Die Analyse der Proteine von PfAR-1 und Pf0-1 vor- und nach Allicin-Behandlung erfolgte mit der von Professor Lars Leichert und Kollegen entwickelten OxiCAT Methode 14, bei der allylierte und nicht-allylierte Proteine durch unterschiedliche Isotopen markiert- und durch eine anschließende Massenanalytik genau identifiziert werden können. In diesem ersten Teil der Studie von Foerster (geb. Reiter) und Kollegen wurde die Proteinuntereinheit A der DNA Gyrase (GyrA) als wichtiger Kandidat identifiziert, da für GyrA ein signifikanter Unterschied im Grad der Oxidation durch Allicin zwischen beiden Bakterienstämmen beobachtet wurde. In Pf0-1 erhöhte sich die Menge an oxidiertem GyrA Protein von 6,3% auf 56,1%, wohingegen für das GyrA Protein in PfAR-1 nur eine Zunahme in der Oxidation von 6,5% auf 10,8% beobachtet wurde. Die Schlussfolgerung dieser Daten war, dass 49,8% aller GyrA Proteine in Pf0-1 durch Allicin oxidiert wurden, aber nur 4,3% aller GyrA Proteine in PfAR-1 11.

Da die Allylierung des GyrA Proteins in Pf0-1 nicht per se den Schluss zulässt, dass hierdurch die Gyrase auch in ihrer Aktivität beeinträchtigt würde, wurde die Aktivität der DNA Gyrase mit- und ohne Allicin Behandlung in einem enzymatischen Assay untersucht (Abbildung 3).

Nalidixic acid as well as allicin from garlic inhibit DNA gyrase activity
Abbildung 3: Nalidixinsäure als auch Allicin inhibieren die DNA Gyrase Aktivität. Die Abbildung stellt eine Zusammenfassung einiger Ergebnisse von Foerster (geb. Reiter) und Kollegen von 2020 dar 11. Plasmid DNA kann leicht aus E. coli Flüssigkultur in großen Mengen isoliert werden. (1.) Die Plasmid DNA (hier: pUC19 Plasmid) liegt nach der Isolation größtenteils als supercoiled DNA vor. (2.) Die isolierte Plasmid DNA kann durch das Enzym DNA Topoisomerase I komplett in eine relaxierte und damit weniger kompakte Struktur überführt werden. (3.) Die DNA Gyrase konvertiert diese DNA in einem zweiten Schritt zurück in die supercoiled Struktur. (4.) Da relaxierte und supercoiled DNA durch eine Agarose-Gelelektrophorese anhand der Kompaktheit ihrer Struktur unterschieden werden können, kann die Wirkung von DNA Gyrase Hemmern untersucht werden. Das Kochen der DNA Gyrase dient als Kontrolle für inaktivierte DNA Gyrase und für das Funktionsprinzips des Assays. In der Studie von Foerster (geb. Reiter) und Kollegen konnte durch diesen Assay beobachtet werden, dass Nalidixinsäure als auch Allicin die DNA Gyrase in Abhängigkeit der eingesetzten Stoffkonzentration hemmen.

Zunächst wurde extrahierte pUC19-Plasmid DNA isoliert und mit Hilfe der Topoisomerase I komplett entpackt (relaxiert). Das relaxierte Plasmid diente dann als Substrat für die DNA-Gyrase, welche es in die kompaktere supercoiled-Struktur überführt wurde. Beide DNA-Formen können durch Agarose-Gelelektrophorese voneinander unterschieden werden, da das Agarosegel als Diffusionsbarriere fungiert und sich kompaktere DNA schneller durch das Gel in einem elektrischen Feld bewegen kann als weniger kompakte DNA in einer bestimmten Zeit. Würde die DNA-Gyrase durch eine Vorbehandlung inaktiviert oder ihre Aktivität vermindert werden, dann würde keine oder weniger supercoiled DNA entstehen. Die mit gehemmter Gyrase behandelte DNA würde dann genau so langsam durch das Gel wandern wie komplett relaxierte DNA. Eine klassische Behandlung zur Inaktivierung von Enzymen ist z.B. das Kochen des Proteins, welches zeigte, dass der Assay wie erwartet funktionierte. Bei der eigentlichen Untersuchung mit Nalidixinsäure bzw. Allicin konnte beobachtet werden, dass beide Substanzen in einem vergleichbaren Konzentrationsbereich jeweils potente DNA Gyrase Hemmer sind (Abbildung 3) 11.

Interessanterweise wurde aufgereinigtes GyrA Protein von PfAR-1 genauso stark gehemmt wie aufgereinigtes GyrA Protein von Pf0-1, was bedeutet, dass GyrA von PfAR-1 nicht resistent gegen die Oxidation durch Allicin ist. Um die Geschichte an dieser Stelle kurz zu halten wurde in einer späteren Studie gezeigt, dass PfAR-1 multiple Resistenzmechanismen gegen Allicin besitzt, welche die DNA-Gyrase vor dem Angriff von Allicin schützen 15. Da die Gyrase selbst kein Resistenzfaktor ist, ist die Identifikation der DNA Gyrase als Angriffsziel durch Allicin eine wichtige Beobachtung, die dazu beiträgt, die antimikrobielle Aktivität von Allicin aus Knoblauch besser zu verstehen 11.

Allicin ist derzeit noch kein Ersatz oder eine Alternative für andere Antibiotika, da noch eine Methode für den gezielten Einsatz von Allicin entwickelt werden muss. Allicin bzw. Knoblauch sollte daher nicht zur Selbstbehandlung benutzt werden, vor allem, da es in übermäßiger Menge schädlich sein kann.

Jan Borlinghaus, 13.10.2022

Referenzen

  1. Gray, M. W.; Burger, G.; Lang, B. F. Mitochondrial Evolution. Science 1999, 283 (5407), 1476–1481. https://doi.org/10.1126/science.283.5407.1476.
  2. Singh, R.; Sripada, L.; Singh, R. Side Effects of Antibiotics during Bacterial Infection: Mitochondria, the Main Target in Host Cell. Mitochondrion 2014, 16, 50–54. https://doi.org/10.1016/j.mito.2013.10.005.
  3. Fleming, A. On the Antibacterial Action of Cultures of a Penicillium, with Special Reference to Their Use in the Isolation of B. Influenzæ. British journal of experimental pathology 1929, 10 (3), 226–236.
  4. Tipper, D. J.; Strominger, J. L. Mechanism of Action of Penicillins: A Proposal Based on Their Structural Similarity to Acyl-D-Alanyl-D-Alanine. Proceedings of the National Academy of Sciences 1965, 54 (4), 1133–1141. https://doi.org/10.1073/pnas.54.4.1133.
  5. Cho, H.; Uehara, T.; Bernhardt, T. G. Beta-Lactam Antibiotics Induce a Lethal Malfunctioning of the Bacterial Cell Wall Synthesis Machinery. Cell 2014, 159 (6), 1300–1311. https://doi.org/10.1016/j.cell.2014.11.017.
  6. Park, J. T.; Strominger, J. L. Mode of Action of Penicillin. Science 1957, 125 (3238), 99–101. https://doi.org/10.1126/science.125.3238.99.
  7. MacLean, R. C.; San Millan, A. The Evolution of Antibiotic Resistance. Science 2019, 365 (6458), 1082. https://doi.org/10.1126/science.aax3879.
  8. Collin, F.; Karkare, S.; Maxwell, A. Exploiting Bacterial DNA Gyrase as a Drug Target: Current State and Perspectives. Applied Microbiology and Biotechnology 2011, 92 (3), 479–497. https://doi.org/10.1007/s00253-011-3557-z.
  9. Champoux, J. J. DNA TOPOISOMERASES: Structure, Function, and Mechanism. Annu. Rev. Biochem. 2001, 0 (errata). https://doi.org/10.1146/annurev.bi.70.010101.200002.
  10. Lesher, G. Y.; Froelich, E. J.; Gruett, M. D.; Bailey, J. H.; Brundage, R. P. 1,8-NAPHTHYRIDINE DERIVATIVES. A NEW CLASS OF CHEMOTHERAPEUTIC AGENTS. J Med Pharm Chem 1962, 91, 1063–1065. https://doi.org/10.1021/jm01240a021.
  11. Reiter, J.; Hübbers, A. M.; Albrecht, F.; Leichert, L. I. O.; Slusarenko, A. J. Allicin, a Natural Antimicrobial Defence Substance from Garlic, Inhibits DNA Gyrase Activity in Bacteria. International Journal of Medical Microbiology 2020, 310 (1), 151359. https://doi.org/10.1016/j.ijmm.2019.151359.
  12. Borlinghaus, J.; Albrecht, F.; Gruhlke, M. C. H.; Nwachukwu, I. D.; Slusarenko, A. J. Allicin: Chemistry and Biological Properties. Molecules 2014, 19 (8), 12591–12618. https://doi.org/10.3390/molecules190812591.
  13. Borlinghaus, J.; Foerster (née Reiter), J.; Kappler, U.; Antelmann, H.; Noll, U.; Gruhlke, M. C. H.; Slusarenko, A. J. Allicin, the Odor of Freshly Crushed Garlic: A Review of Recent Progress in Understanding Allicin’s Effects on Cells. Molecules 2021, 26 (6). https://doi.org/10.3390/molecules26061505.
  14. Leichert, L. I.; Gehrke, F.; Gudiseva, H. V.; Blackwell, T.; Ilbert, M.; Walker, A. K.; Strahler, J. R.; Andrews, P. C.; Jakob, U. Quantifying Changes in the Thiol Redox Proteome upon Oxidative Stress in Vivo. Proc Natl Acad Sci USA 2008, 105 (24), 8197. https://doi.org/10.1073/pnas.0707723105.
  15. Borlinghaus, J.; Bolger, A.; Schier, C.; Vogel, A.; Usadel, B.; Gruhlke, M. C.; Slusarenko, A. J. Genetic and Molecular Characterization of Multicomponent Resistance of Pseudomonas against Allicin. Life Sci. Alliance 2020, 3 (5), e202000670. https://doi.org/10.26508/lsa.202000670.
Allicin aus Knoblauch inhibiert das essentielle bakterielle Enzym DNA Gyrase, ein häufiges Ziel medizinischer Antibiotika

Das könnte dir auch gefallen

Schreibe einen Kommentar